Es ist der letzte Tag in Kathmandu, nachmittags werden wir zurückfliegen. Grund genug, sich noch einmal ins Getümmel zu begeben, ein letztes Mal diese verrückte Stadt in sich hinein zu saugen, einzuatmen, mit allen Sinnen in sich aufzunehmen, damit möglichst viel irgendwo hängen bleibt.
Zwei Straßen vom Hotel entfernt setzte ich mich auf eine Steinstufe eines Hauses direkt an der Straße und will hier nur sitzen, schauen, riechen, staunen…
Es herrscht das übliche geordnete Chaos: Autos, Motorräder, Roller, Fahrräder, Rikschas, Lastenträger, Touristen, Hunde sind wie jeden Tag in Thamel unterwegs. Natürlich geht das nicht ohne Gehupe ab. Die Fußgänger drängen sich seitlich des Straße an den Häusern und Eingängen vorbei. Schräg gegenüber staubt ein Händler seine Figuren, die er vor dem Laden stehen hat, mit einem riesigen Wedel ab. Man kann sogar die Staubwölkchen fliegen sehen. Aus einem CD-Laden etwas weiter die Straße hoch klingt Musik herüber: diesmal nicht Om mani pade hum, sondern ein anderes Mantra, genau so eindringlich und ergreifend. Wer sich darauf einlässt, kann sich mitten am Tag im Lärm davontragen lassen…
Irgendwo stehen bleiben oder sich hinzusetzen, kann in einer solchen Stadt „gefährlich sein“. Wir sind jetzt den vierten Tag in Kathmandu, da haben wir schon oft erlebt, dass Straßenhändler oder Rikschafahrer sehr hartnäckig sein können. Oft laufen bzw. fahren sie minutenlang neben einem her und preisen ihre Waren und ihre Leistung an. Der „erfahrene“ Tourist läuft locker weiter und wehrt öfter freundlich das Ansinnen des Händlers ab. Irgendwann geht ihnen die Puste oder die Lust aus…
Wer sich aber niederlässt, um auszuruhen oder zu schauen, bietet einen willkommenen Anlaufpunkt. So konnte ich erfolgreich einen Flötenverkäufer und zwei Rikschafahrer „abwehren“. Für diese kleine Auszeit bin ich ohne Rucksack und Geld los, lediglich mit Handy ausgerüstet. Das sollte mich unter anderem vor etwaigen Panikeinkäufen zu bewahren.
Dann taucht der Medallionverkäufer auf. Ich versuche erstmal an ihm vorbei zu schauen, aber er hat sein Opfer erkannt und bleibt vor mir stehen und beginnt gleich zu reden. Er hält ein kleines rundes Medaillon an einem Kettchen in der Hand und preist es zuerst einmal als einmalig an: Solch eine Kombination von Symbolen sei sonst nicht zubekommen, das Kettchen natürlich aus Silber. Und diese Einmaligkeit soll 1200 Rupien kosten. Gut, jetzt hatte ich schon seit langem einen Anhänger als Geschenk im Sinn. Aber die Einkäufe waren eigentlich abgeschlossen. So wundere ich mich nicht über mich selbst, als ich den Anhänger in die Hand nehme. Der Nepalese, ein nicht unsympathischer Mensch, vielleicht Ende zwanzig Jahre alt, setzt sich dann neben mich und dann geht das Verkaufspalaver weiter. Ja, der Anhänger sei ok, aber leider hätte ich kein Geld dabei, alles im Hotel. Der gute, erfahrenen Mann stuft das natürlich gleich als Touristentrick ein und geht im Preis runter. Jetzt liegen wir schon bei 800 Rupien. Nochmal versichere ich ihm, wir würden heute noch zurück nach Old Germany fliegen. Wir hätten nicht mehr viel Geld, alles in Katmandu ausgegeben… 300 Rupien? Nein, no! Langsam gehen mir die Ideen und Worte aus und ich erhebe mich. Vorbei mit der Beschaulichkeit, aber jetzt kommt der gute Junge mit einem letzten „Angebot“: Er will mir den Anhänger schenken. Kann das sein oder ist das eine bewährte Taktik?
Auf dem Medallion sind vorne die „allsehenden“ Augen Buddhas mit dem dritten mystischen Auge zu sehen. Das dritte ist das Symbol der Weisheit. Scheinbar hat man zur Ehre Buddhas noch zwei Augen hinzu gefügt. Die Nase ist kein Fragezeichen, sondern die Zahl Eins auf Nepali. Auf der Rückseite des Anhängers sieht man einen stilisierten Stupa.
Ok, sage ich, wenn er mich zum Hotel begleitet, kann ich noch ein bisschen Geld zusammenkratzen und ihm den Anhänger abkaufen. Er geht tatsächlich mit, bleibt aber hundert Meter vor dem „Thamel Eco Resort“ stehen und meint, er würde hier warten. Nachdem wir unser Bargeld im Hotel nochmal zusammen gezählt haben – ein bisschen brauchen wir noch für einige Trinkgelder – bleiben noch 400 Rupien übrig. Ob der Straßenhändler überhaupt noch da ist? Immerhin sind inzwischen bestimmt 15 Minuten vergangen (kein Touristentrick!) Er steht tatsächlich noch da. So ganz glücklich sieht er nicht aus, als ich ihm „nur“ vierhundert in die Hand drücke, aber er nimmt sie und wünscht gute Rückreise…
Bei der Recherche zu diesem Eintrag schaue ich mir hunderte von Buddha-Medaillons im Netz an, finde dieses aber nicht – vielleicht doch eine Einmaligkeit. Zumindest das Erlebnis an diesem Tag war es…