Der Spiegel Krieg für Tiere
Der Holocaust auf Ihrem Teller
Alles ist ganz einfach, wenn man nur
lange genug auf diese Zahl starrt. Sie steht auf einer
Web-Seite, ganz unten, noch unter den Bildern und dem Text.
Es ist eine Zahl, die im Sekundentakt weiterspringt, ein so
genannter Counter. Die Zahl zeigt an, wie viele Tiere seit
dem 1. Januar 2003 in den USA für Nahrungszwecke getötet
wurden.
[Auf dieser Seite laufen die bundesdeutschen Zahlen!]
Wer begreifen will, was Peta ist, muss sich nur diese Zahl
anschauen, die von Sekunde zu Sekunde größer wird.
31 Milliarden tote Tiere in etwas über einem Jahr, das sind
auf jeden Amerikaner 108 Kühe, Schweine, Hühner oder
Schafe. Die Seite heißt www.masskilling.com, es geht um die
Ohnmacht der Tiere und um die Verantwortung des Menschen.
Die Zahl auf der Web-Seite ist Teil eines Kreuzzugs. Sie
soll eine Kampagne unterstützen, die den Titel "Holocaust
on Your Plate" trägt, "Der Holocaust auf Ihrem Teller". Die
Kampagne besteht, in der Hauptsache, aus Fotos. Sie stellt
Bilder von Juden in Konzentrationslagern neben Fotos von
Hühnern und Schweinen in der Massentierhaltung. In einigen
amerikanischen Städten wurde die Ausstellung verboten. Wo
sie gezeigt werden durfte, provozierte sie wütende
Ablehnung und wütende Zustimmung. Peta ist die Abkürzung
für People for the Ethical Treatment of Animals, es ist das
erste Mal, dass eine Tierrechtsorganisation auf diese Weise
Werbung mit dem Holocaust macht.
Es ist ein Tabubruch.
Harald Ullmann, 2. Vorsitzender der deutschen Peta-Sektion,
sitzt in seinem Stuttgarter Büro, vor sich einen Laptop,
und klickt sich durch die Kampagnenmotive: ausgemergelte,
auf einen Haufen geworfene Menschenleiber gegen tote
Schweine; Häftlinge auf Pritschen gegen Hühner in einer
Legebatterie; Frauen und Kinder in KZ-Kleidung hinter
Stacheldraht gegen junge Schweine hinter Gittern -
Hühnerfarmen gegen Auschwitz.
Es ist eine Art Krieg, den sie führen, ein Krieg um das
Wohlergehen der Tiere und um die Herzen der Menschen. Er
wird geführt mit Ideen, mit Bildern und Argumenten, und,
wenn es sein muss, mit der Verletzung von Tabus. Peta will
eine Welt ohne Pelz und ohne Leder, in der die Menschen
kein Fleisch essen, auf Milch von Tieren verzichten und auf
Honig.
"Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum man den Menschen
als Krone der Schöpfung bezeichnen soll", sagt Ullmann.
"Wir sind auch nur ein Tier, das sich die Erde mit anderen
Tieren teilt."
Sie wollen eine bessere Welt, möglicherweise, auf alle
Fälle aber eine andere.
... soll "Der Holocaust auf Ihrem Teller"
in Deutschland starten, acht Großplakate in einer
Wanderausstellung, jeweils zwei mal drei Meter groß. Es ist
auch ein Krieg um die Frage, ob es beim Kampf für eine
bessere Welt Grenzen gibt.
Am Anfang habe er die Kampagne "etwas schwierig" gefunden,
sagt Ullmann. Sie haben ihm eine E-Mail geschickt, aus dem
Peta-Hauptquartier in Norfolk, Virginia, als die Paneele
für die amerikanische Ausstellung gerade fertig waren. Ob er sich vorstellen
könne, die Ausstellung in Deutschland zu zeigen?
Ullmann ist 48 Jahre alt, er hat Englisch und Sport
studiert, ursprünglich wollte er Lehrer werden. Nach
mittlerweile 17 Jahren bei Peta hat er ein Gespür dafür,
welche Kampagnen in Deutschland funktionieren und welche
nicht.
Ob sie ihm nicht erst mal den Inhalt und die Argumente
zukommen lassen könnten, mailte er zurück.
Peta schickte zwei Zitate. Eines von dem jüdischen
Literatur-Nobelpreisträger Isaac B. Singer, von dem der
Satz stammt: "Für die Tiere sind alle Menschen Nazis; für
sie ist jeden Tag Treblinka", das andere von Theodor W.
Adorno: "Auschwitz fängt da an, wo einer im Schlachthof
steht und sagt: ,Es sind ja nur Tiere.'"
Zwei Zitate, zwei Kronzeugen. Sie hatten wirklich an alles
gedacht. Ullmann erinnerte sich daran, dass Bernhard
Grzimek in den siebziger Jahren Hühner aus Legebatterien
als "KZ-Hühner" bezeichnet hatte. Er war damals vor allem
von den Betreibern von Legebatterien attackiert worden,
nicht von jüdischen Verbänden. Ullmann beschloss, "Der
Holocaust auf Ihrem Teller" nach Deutschland zu holen.
"Wir wollen polarisieren, wir wollen, dass die Menschen
darüber reden", sagt Ullmann. "Wir versuchen, das Produkt
Mitgefühl zu verkaufen."
Sie sind eine Bewegung. Die Zahl auf der Web-Seite ist ihr
stärkstes Argument.
"Zwischen 1938 und 1945 starben zwölf Millionen Menschen im
Holocaust", heißt es in der Kampagne. "Genauso viele Tiere
werden für den menschlichen Verzehr jede Stunde in Europa
getötet."
... Zwölf Millionen Menschen,
zwölf Millionen Tiere. Darauf kommt es an. "Wir vergleichen
Tiere und Menschen nur da, wo 's gleich ist: bei der
Leidensfähigkeit."
"Kann man die Bevölkerung mit einer solchen Analogie
konfrontieren?", fragt Ullmann. Er sagt "Bevölkerung". Er
fragt nicht, ob man die Überlebenden des Holocaust mit
einer solchen Analogie konfrontieren kann. "Wir sagen:
Holocaust war schlimm, und was den Tieren passiert, ist
schlimm", sagt Ullmann, aber er sieht ein wenig unbehaglich
aus dabei.
Am 3. November schrieb Peta dem Präsidenten des Zentralrats
der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, einen Brief.
Die Opfer seien heute andere als damals, aber das System
von Einpferchen, Missbrauch, Vorurteil und Abschlachten sei
dasselbe, las Spiegel. "Ein paar Zeilen des Wohlwollens in
Bezug auf diese Ausstellung wären schön."
Spiegel gab den Brief an seine Anwälte weiter. Sollte die
Ausstellung in Deutschland starten, werde er Peta
verklagen, ließ er ausrichten. Die Kampagne sei
"menschenverachtend" und "eine Beleidigung der Opfer".
Die Sache ist kompliziert, jedenfalls in Deutschland.
Man kann so viele Fehler machen.
"Wir sind nicht dazu da, um geliebt zu werden", sagt Dan
Mathews, der Vizepräsident von Peta. "Jede
Interessengruppe, die geliebt werden möchte, ist zum
Scheitern verurteilt. Wir spielen die Rolle eines Agent
provocateur."
Mathews hat kurze, graue Haare, er lacht gern, man kann
sich ihn gut in einer amerikanischen Vorabendserie
vorstellen. Bevor er bei Peta anfing, arbeitete er als
Model, er brachte Kontakte zu Stars und anderen Models mit
und ein wenig Glamour. Außerdem ist er Jude. Etwas Besseres
als Dan Mathews hätte Peta kaum passieren können.
Peta war 1980 von Ingrid Newkirk und Alex Pacheco gegründet
worden. Newkirk, die ein fanatischer Formel-1-Fan ist,
wollte eigentlich Börsenmaklerin werden. Sie war 22 Jahre
alt, als sie Zeugin wurde, wie in einem Tierheim junge
Katzen getötet wurden, die sie dem Heim zur Obhut
überlassen hatte. Sie beschloss, sich fortan dem Tierschutz
zu widmen.
Zunächst machte sich die Organisation mit
Undercover-Aktionen einen Namen. Aktivisten ließen sich von
Hühnerfarmern einstellen und dokumentierten, was sie sahen:
Tiere, die sich an den Wärmelampen verbrannt hatten;
verkrüppelte Tiere, deren Knochen ihr Gewicht nicht tragen
konnten; Hühner, deren Schnäbel gekürzt worden waren, damit
sie in den engen Käfigen nicht nach anderen Hühnern
hackten.
In den achtziger Jahren erfand Mathews die Kampagne "Lieber
nackt als Pelz". Eine junge Frau aus Florida hatte ihm ein
Foto geschickt, das sie auf einer Demonstration zeigte: Sie
trug einen hautfarbenen Anzug, auf den sie "I'd rather go
naked than wear fur" gepinselt hatte. Es war die Wende.
Bald zogen sich Stars wie Nina Hagen, Pamela Anderson oder
Naomi Campbell
für Peta aus, und Mathews entdeckte, dass sich alles mit
ein bisschen Sex viel besser verkaufen ließ. Die Werbung
für eine Idee funktioniert nicht viel anders als die
Werbung für ein Produkt.
Sie legten sich mit General Motors an, weil der Konzern
Crashtests mit Schweinen und Frettchen durchführte, und
zwangen McDonald's, schärfere Standards bei den
Hühnerfarmen durchzusetzen. Mittlerweile haben sie über 800
000 Mitglieder weltweit - die erfolgreichste radikale
Gruppe Amerikas, wie der "New Yorker" schrieb.
Sie sind schnell, sie spielen mit den Medien, und sie haben
auf alles eine Antwort. Als Mathews vor ein paar Jahren
gefragt wurde, welches sein Kandidat für eine Liste der
"100 beliebtesten Menschen des Landes" sei, fiel ihm der
Mörder von Gianni Versace ein, ein Spaß, wie er hinterher
einschränkte. Schließlich habe der den Modeschöpfer davon
abgehalten, weiter Pelze zu verarbeiten.
Und als Roy Horn kürzlich von einem Tiger lebensgefährlich
verletzt wurde, schrieb Mathews ihm: "Vielleicht verstehst
du nach diesem schrecklichen Zwischenfall, dass eine grell
erleuchtete Bühne mit lauter Musik und einem schreienden
Publikum nicht der natürliche Lebensraum für Tiger ist."
"Peta ist wie Vaudeville", sagt Mathews, wie
Jahrmarktstheater. "Wir haben verschiedene Kunststücke im
Repertoire, wir wechseln ständig das Programm."
Harald Ullmann studierte in Heidelberg und ging dann für
ein paar Jahre in die USA. Peta musste nicht lange um ihn
werben. Sie zeigten ihm einfach ein Video. Er starrte auf
ein Rind, das kopfüber an einem Fleischerhaken hing,
lebend, "und die Gurgel aufgeschnitten bekommt und das Blut
rausströmt".
Er ist auf dem Dorf aufgewachsen, wo Fleisch zu einer
anständigen Mahlzeit dazugehörte. "Als ich ein Kind war,
gab's donnerstags beim Metzger immer Leberkäse mit Semmeln.
Warmen Leberkäse, dazu eine Scheibe Wurst, kostenlos, das
war schon was Tolles."
Das Video war eine Bekehrung, eine Art Erweckungserlebnis.
Zum ersten Mal in seinem Leben brachte er das Schnitzel auf
dem Teller in Verbindung mit dem Tier, das für dieses
Schnitzel gemästet, gequält und schließlich getötet worden
war. Er beschloss, nie wieder Fleisch zu essen.
1994 gründete Ullmann die deutsche Sektion von Peta. "Wir
wollen zeigen, dass man kein Außenseiter sein muss, wenn
man sich für Tiere einsetzt", sagt er. "Man muss auf Spaß
im Leben nicht verzichten."
Ullmann setzte durch, dass er und seine Helfer hauptamtlich
arbeiteten und dafür angemessen bezahlt wurden, und er
bestand darauf, dass Peta mit "Bild" und "Bild am Sonntag"
selbstverständlich zusammenarbeitete. Er wollte die
Ursachen bekämpfen, nicht nur die Symptome. Deshalb mussten
sie die Massen erreichen. Manchen Tierfreunden ging das zu
weit. "Als ich 1986 anfing, war ein Großteil der Leute bei
Peta Körneresser. Alles war basisdemokratisch, alles musste
abgesprochen werden. Wir haben sehr schnell gemerkt: So
kommen wir nicht weiter. Die Industrie ist nicht
basisdemokratisch. Wir müssen Strukturen wählen, mit denen
wir erfolgreich sind."
Peta erkannte früh, dass man Konzerne mit moralischen
Argumenten kaum beeindrucken kann. Also vertrauen die
Tierrechtler auf die Kräfte des Marktes. "Wir setzen auf
den Konsumenten", sagt Ullmann. "Ob die Tiere hinterher aus
ethischen Gründen nicht geschlachtet werden oder weil der
Bedarf nicht mehr vorhanden ist, ist den Tieren egal."
Ullmann gewann Prominente wie Désirée Nosbusch, die Toten
Hosen oder Dirk Bach dafür, sich für die Anti-Pelz-Kampagne
nackt fotografieren zu lassen; Reinhard Mey schickte ein
Foto, auf dem er sich eine Gitarre vors Geschlechtsteil
hält.
Die Gemeinde Fischen im Allgäu forderte Ullmann auf, ihren
Namen in "Wandern" zu ändern, da der bisherige Name für ein
"grausames Hobby" stehe. Und als bei einem Anschlag in
Jerusalem ein mit Sprengstoff beladener Esel explodierte,
bat
Peta Jassir Arafat, "Tiere aus diesem Konflikt
rauszuhalten".
"Wir scheuen uns nicht davor, uns lächerlich zu machen",
sagt Ullmann. Er begann, Peta Deutschland für das
Vaudeville zu öffnen.
Er holte Jürgen Faulmann in sein Team, als Kampagnenleiter
- einen gelernten Koch, der sichtlich Spaß daran hat, den
Feind zu provozieren.
Peta lehnt Gewalt ab, jedenfalls Gewalt gegen Lebewesen.
Ist es legitim, Hochsitze umzustürzen und Labors zu
verwüsten?
"Ich mach's nicht, aber mir ist klar, warum manche Leute
das machen", sagt Ullmann.
Als Faulmann noch in Österreich aktiv war, fuhren vier
Jäger zur Jagd nach Kroatien. Sie gerieten auf eine Mine,
alle vier starben. In einer Pressemitteilung gaben die
Tierschützer bekannt, dass ihr Mitleid sich in Grenzen
halte. Der Text schloss mit "Waidmanns Dank".
"Wenn jemand stirbt, ist das immer ein trauriges Ereignis",
sagt Ullmann. "Bei manchen ist man eben weniger traurig als
bei anderen."
Im vergangenen Sommer reiste Faulmann nach Hannover. Der
Mutterkonzern von Kentucky Fried Chicken, mit denen sich
Peta kurz zuvor angelegt hatte, wollte in Garbsen eine
Fast-Food-Filiale eröffnen, und aus irgendeinem Grund hatte
David Novak sein Kommen angekündigt, der Vorstandschef.
Novak gab geduldig Interviews, als ihn irgendwann eine
Peta-Fotografin hinaus vor den Laden bat.
Novak hatte sein Jackett ausgezogen, und so stand er im
weißen Oberhemd bereit, als plötzlich Jürgen Faulmann auf
ihn zustürmte. Er hatte eine Tüte mit Kunstblut dabei, und
auf dem Foto, das Peta auf seine Web-Seite stellte, kann
man Novak in seinem blutroten Hemd sehen, wie er ein wenig
verdutzt vor seiner Filiale steht.
Vor ein paar Wochen feierte Peta Deutschland seinen zehnten
Geburtstag mit einer Gala im Hamburger "Hotel Vier
Jahreszeiten". Als Moderator hatte Tobi Schlegl zugesagt,
der auf Viva eine eigene Sendung hat. Sie hatten eine
Modenschau vorbereitet mit prominenten Models, Thomas D.,
der Sänger der Fantastischen Vier, war gekommen und Bela B.
von den Ärzten, Cosma Shiva Hagen und Charlotte Karlinder
Kusmagk, die bei MTV arbeitet. Dan Mathews war extra aus
Amerika angereist, und bevor es losging, sprang er auf den
Laufsteg, um eine kleine Rede zu halten.
Eigentlich habe er den berühmten Ausspruch von John F.
Kennedy variieren und die Gäste mit dem Satz "Ich bin ein
Hamburger" begrüßen wollen, sagte Mathews. "Aber passender
scheint mir, zu sagen: ,Ich bin ein Veggieburger'!" Alle
lachten. Es machte auf einmal Spaß, Vegetarier zu sein.
Ullmann trug ein weißes Hemd, das offensichtlich schwer zu
bügeln war, und eine Krawatte mit Tiermotiven, die er sich
vor Jahren für solche Anlässe gekauft hatte. "Wir spielen
mit der Öffentlichkeit", sagt Ullmann. "Was müssen wir tun,
um unsere Botschaften in den Medien unterzubringen?"
Als sie die Chance erblickten, Auschwitz in ihre Show zu
integrieren, haben sie es einfach gemacht.
"Es hat in der Tierrechtsbewegung nie eine Diskussion
darüber gegeben, ob das inhaltlich falsch oder richtig ist.
Es hat immer nur Diskussionen darüber gegeben, ob es
strategisch richtig ist, es zu tun - ob's uns mehr schadet
oder mehr bringt", sagt Jürgen Faulmann. "Das Schnitzel auf
dem Teller muss blutiger werden."
Als die Kampagnen-Pläne bekannt wurden, war das Echo
gewaltig. Die "Frankfurter Allgemeine" nannte die Kampagne
"abscheulich", in der alternativen "tageszeitung" erschien
eine Geschichte mit dem Titel "Der Jude, das
Grillhähnchen". Irgendwann kündigte die Aktion Sühnezeichen
an, dass sie die Kampagne bekämpfen werde, und "Kraut und
Rüben", ein Berliner Bioladen, sammelte Unterschriften
gegen Peta.
Eine Front aus "FAZ", "taz" und "Kraut und Rüben".